Gottes Führung im Rückblick

■ Weiter führt uns der Weg durchs Kirchenjahr. Wir haben unsern Herrn gesehen, wie Er auferstanden ist und wie Er in den Himmel aufgefahren ist und sich zur Rechten des Vaters niedergesetzt hat. Und in den letzten Tagen wurden wir wie jedes Jahr zu Pfingsten Zeugen, wie Er den Aposteln den verheißenen Beistand, den Hl. Geist, gesandt hat.
Wenn wir auf die Apostel in dieser Zeit blicken und die innere Entwicklung verfolgen, die sie durchgemacht haben, dann merken wir, dass sie viele Dinge, die sie in ihrem Leben mit Jesus gehört oder erlebt haben, erst jetzt nach Jesu Auferstehung und Himmelfahrt und besonders nach dem Kommen des Hl. Geistes verstehen. Als Jesus beim Letzten Abendmahl den Aposteln die Füße wusch und als die Reihe an Petrus kam, wollte dieser Jesus davon abhalten, ihm die Füße zu waschen. Darauf sagte Jesus zu ihm: „Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht, du wirst es aber später verstehen“ (Joh 13,7). Jesus hat also gewusst, dass bestimmte Dinge den Aposteln zu Beginn noch dunkel waren und sie sie erst später verstehen würden. Dasselbe bestätigt auch der Apostel Johannes. An der Stelle, an der er uns von Jesu Einzug in Jerusalem berichtet, bemerkt er: „Das verstanden Seine Jünger anfangs nicht. Als aber Jesus verherrlicht war, da kam es ihnen zum Bewusstsein, dass dies von Ihm geschrieben stand und dass sie dabei mitgewirkt hatten“ (Joh 12,16). Im Evangelium von Pfingsten teilt uns Jesus mit, dass es der Heilige Geist ist, der den Aposteln hilft, die Dinge zu verstehen: „Der Tröster aber, der Heilige Geist, den der Vater in Meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was Ich euch gesagt habe“ (Jo 14, 26).
Viele Dinge, die Gottes Wirken und Heilsplan betreffen, haben also selbst die Apostel, die doch Jesus so nahe standen, erst Jahre später richtig begriffen. Erst in der Rückschau sahen sie, was sich um sie herum, in ihrer unmittelbaren Nähe, abgespielt hatte, ohne dass sie es damals verstanden, geschweige denn geschätzt hätten.
■ Auch wir werden vielleicht schon eine ähnliche Erfahrung wie die Apostel gemacht haben. Oft stellen sich die Dinge in der Rückschau ganz anders dar, als wir sie ursprünglich wahrnahmen, als wir „mittendrin“ waren. Oft sehen wir die wahre Bedeutung dessen, was wir erleben, erst im Nachhinein.
Wir alle kommen in unserem Leben immer wieder an Zäsuren. Zäsuren, die einen Lebensabschnitt, zumindest in einer bestimmten Hinsicht, zum Abschluss bringen und einen neuen beginnen lassen. Es kann sich dabei um verschiedenes handeln: der Schulabschluss, das Ende des Studiums und der Beginn des Berufslebens, das Ende des Berufslebens und der Beginn des „Ruhestandes“, die eigene Heirat oder die eines der eigenen Kinder, ein Wohnungswechsel etc. Solche Ereignisse bieten immer wieder Gelegenheit, auf den abgeschlossenen Lebensabschnitt zurückzublicken. Dabei stellen wir meist fest, dass wir schwere Zeiten durchmachen mussten. Viele Anstrengungen, negative Erfahrungen, Enttäuschungen. Aber bisweilen können wir trotz alledem sagen, dass es eine gute und fruchtbare Zeit gewesen ist.
Wie gesagt, die Bedeutung vieler Dinge verstehen wir - nach den Worten Jesu - erst später in unserem Leben. Dann sehen wir vielleicht sogar, dass Gott selbst scheinbar ungünstige Situationen dazu benutzt, um Seine Vorsehung wirken zu lassen. Daher wollen wir oft den Heiligen Geist anrufen, dass Er auch uns erleuchte und uns helfe, den Heilsplan Gottes in den Ereignissen unseres Lebens zu sehen.
Ein Beispiel dafür ist uns im Alten Testament erzählt. Es ist das Leben des Jakob und seines Sohnes Joseph. Es sah so aus, als hätte sich alles gegen Jakob verschworen: einer seiner Söhne (Joseph) war, wie er meinte, von einem wilden Tier zerrissen, einer war in fremdem Land gefangen (Simeon) und einen sollte er nun ausliefern (Benjamin). Gottes Führung und Vorsehung schienen Jakob gänzlich vergessen zu haben. Wie wir aber später erfahren, führten all diese Dinge gerade zur Erfüllung der Verheißung Gottes.
Oder schauen wir auf Joseph. Wie muss er sich gefühlt haben! Verkauft von seinen Brüdern, nach Ägypten verschleppt. Der Versuchung durch die Frau seines Herrn, eines Hofbeamten des Pharao, ausgesetzt, der er in der Treue zu Gott widerstand. Als Lohn befreite ihn Gott nicht, sondern er wurde noch in den Kerker geworfen. Ziemlich missliche Lage! Aber doch heißt es immer wieder: „Der Herr war mit Joseph“ <vgl. Gen….> Denn es zeigte sich, wie wunderbar und unerforschlich Gottes Wege sind, da gerade diese Ereignisse zur Rettung des alttestamentarischen auserwählten Volkes Gottes vor dem Hungertod führte.
Ja, Gott sendet Seinen Segen still und geheimnisvoll. Das ist nach Kardinal Newman sogar die Regel in der hl. Schrift. Er stellt einmal fest, wie wunderbar Gottes Führungen sind – wie lautlos und doch wie wirksam! Wie langsam entwickeln sie sich, und doch wie sicher!
Dies sollten die Apostel lernen, dies sollten Jakob und Joseph lernen und dies sollen auch wir lernen! Seien wir gelehrige Schüler und bitten wir umso mehr um die Erleuchtung des Heiligen Geistes! Wenn wir schon so oft die Erfahrung gemacht haben, wie Gott doch alles zum Guten geführt hat, wenn schon so oft der Sinn der Ereignisse sich uns erst später eröffnet hat, dann wollen wir in Zukunft Geduld haben und nicht vorschnell den Mut und das Vertrauen verlieren. Denn Gott sieht immer auf uns, auch wenn wir meinen, Er habe uns vergessen!
Denken wir in diesem Zusammenhang auch an das Ereignis im Leben Jesu, das uns Markus überliefert hat, und das geradezu ein verblüffendes Beispiel dafür ist, wie Jesus uns mit Bildern oder Naturereignissen Lehren erteilt – der Sturm auf dem See. Sie wissen alle, Jesus war mit Seinen Aposteln im Boot unterwegs, um den See Genesareth zu überqueren. Da erhob sich ein starker Sturm. Hoch peitschte er die Wellen auf. So hoch, dass die Wellen schon ins Boot hineinschwappten und das Boot mit Wasser füllten. Nur wer Ähnliches erlebt hat, weiß, wie hilflos man sich in einer solchen Situation fühlt. Und was tut Jesus? Er schläft. Das ist zuviel für das noch geringe Verständnis der Apostel und dementsprechend rufen sie Ihm zu: “Meister, kümmert es dich nicht, dass wir untergehen?” Jesus aber erhebt sich ruhig und gebietet dem Sturm und dem See, dass sie sich beruhigen sollen. Und tatsächlich, auf der Stelle legt sich der Sturm und es tritt eine große Stille ein. Auf der einen Seite ist die Reaktion und Angst der Apostel verständlich. Wer von uns hätte nicht auch so reagiert? Aber Jesus sagt: “Was seid ihr so furchtsam? Wieso habt ihr keinen Glauben?” (Mk 4,35ff).
Dieses Bild ist so deutlich, dass man sich wundern würde, wenn jemand die Bedeutung nicht aufleuchten würde. Jesus will uns eine Lehre für unser Leben erteilen. Der See und die Wellen sind ein Bild für das Leben. Der Sturm sind die stürmischen Zeiten in unserem Leben. Wer von uns hat in diesen Zeiten nicht auch so reagiert wie die Apostel? Wer hat nicht schon bei sich gedacht: “Herr, kümmert es dich nicht, dass ich hier gerade untergehe?” Und dann steht Jesus auf, und es kehrt wieder Ruhe in unser Leben ein. Und wir stehen da, beschämt, dass wir immer noch so furchtsam waren und keinen Glauben hatten. Und erneut stellen wir fest, wie wichtig es ist, dass wir Gott immer wieder um den Heiligen Geist bitten, damit wir in der Zukunft in ähnlichen Situationen nicht wieder verzagen.
■ Im Evangelium der Vigil von Christi Himmelfahrt lesen wir die Stelle, an der Jesus im so genannten hohepriesterlichen Gebet mit Seinem himmlischen Vater spricht und sagt: „Du hast Ihm (dem Sohn) ja Macht verliehen über alle Menschen, damit Er allen, die Du Ihm gegeben hast, ewiges Leben schenke. Das ewige Leben besteht aber darin, dass sie Dich erkennen, den allein wahren Gott, und den Du gesandt hast, Jesus Christus“ (Joh 17,2f). Wenn wir Gott wirklich als den erkennen, der Er ist, als den Guten, den Allmächtigen, den Heiligen, als den, der das ewige Leben für uns will, der unser Bestes will und alles letztendlich zu unserem Besten einrichtet, dann ist das in der Tat ein Vorgeschmack des ewigen Lebens.
Dann fällt es uns aber auch leichter, in Situationen, deren Sinn wir nicht verstehen, die in unseren Augen momentan sinnlos oder sogar sinnwidrig erscheinen, daran festzuhalten und davon überzeugt zu sein, dass die gute und allmächtige Hand Gottes über uns wacht. Dann verlieren wir nicht so leicht den Mut und die Fassung, wenn wir solche Situationen erleben. Sondern wir halten fest an Gott und lassen uns von dem halten, der allein unwandelbaren Halt bieten kann. Und dann vertrauen wir den Worten Jesu, die auch uns gelten: „Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht, du wirst es aber später verstehen“ (Joh. 13,7). Und: „Der Tröster aber, der Heilige Geist, den der Vater in Meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ (Joh. 14,26).

P. Johannes Heyne

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